1. Präsidialbrief der Turnerschaft Berlin

Mit dem Jahresmotto „In Vielfalt vereint“ beschreiben wir als Turnerschaft Berlin unser Selbstverständnis als Berliner Korporation und verbinden dieses unmittelbar mit unserer gelebten Verbandsbrüderlichkeit im Coburger Convent.

Die Bünde des CC leben heute in einem vielfältigen und sich schnell verändernden akademisch-gesellschaftlichen Umfeld. Vor 30 oder 50 Jahren war dies so noch nicht denkbar. Insbesondere der Fall der Mauer 1989 in Berlin, die Wiedervereinigung Deutschlands und der europäische Integrationsprozess bereiteten den Weg für das heutige internationale Umfeld, in dessen Rahmen sich unser Bundes- und Verbandsleben vollzieht.

Eine Folge dieser Veränderungen ist, dass immer mehr Verbandsbrüder aus dem europäischen und außereuropäischen Ausland bei uns aktiv werden. Auch die Europäische Union berücksichtigt seit dem Jahr 2000 diese Entwicklung und stellt ihre Gemeinschaft fast gleichlautend unter das Motto „In Vielfalt geeint“. Die zunehmende Bandbreite der geographischen Herkünfte ist eine wertvolle Bereicherung unserer Gemeinschaften, nicht zuletzt wegen der internationalen Freundschaften. Dies ist allerdings nur ein Aspekt, welcher die Vielfalt des Coburger Convents erhöht.

Zur Vielfalt unseres Verbandslebens gehören auch veränderte Arbeits- und Rollenbilder. Junge Verbandsbrüder studieren und arbeiten heute digitaler und internationaler als jemals zuvor. Ihr Selbstbild und ihre Rolle in Beruf und Familie haben sich geändert. Der 30-jährige Jungaltherr ist heute nicht mehr zwingend „pater familias“ in einer Kleinstadt, sondern baut Elternzeit und sogenannte „Gapyears“ in seine Lebensplanung ein, selbst wenn er von Berlin, Frankfurt oder Tokio aus als Data Scientist an der KI von morgen arbeitet.

Zur Vielfalt unseres Verbandslebens gehören auch die diversifizierten sozialen Herkünfte. Der Altherrensohn als typischer Vertreter der Aktivitas ist heute nicht mehr die Regel. Knapp die Hälfte aller Studenten und Studentinnen in Deutschland kommt aus Nichtakademikerhaushalten. Das gilt in großen Teilen auch für junge Verbandsbrüder. Unsere Bünde helfen bei einem erfolgreichen Studium und dem Bildungsaufstieg. Wir treffen keine Auswahl nach sozio-ökonomischer Herkunft und fördern mit Hilfe günstiger Mieten und uninah gelegenen Häusern leistungsorientierte junge Studenten. Doch „Aktiv sein“ im Bund stellt besonders (die-)se Aktiven vor Herausforderungen, wenn beispiels- weise zwei Nebenjobs bewältigt werden müssen, um den Lebensunterhalt zu verdienen.

Darum darf und muss hinterfragt wer- den, wo diese Vielfalt auch Reibung an unseren bewährten Formen und Traditionen verursacht. Die Vielfalt der geographischen, kulturellen und sprachlichen Herkünfte der Verbandsbrüder ist zweifelslos bereichernd, aber wie oft wird in den Aktivitates debattiert, ob beispielsweise die Sprachkenntnisse eines aussichts- reichen Keilkandidaten genügen, um Geschichte und Werte unserer Bünde zu verstehen und um sie später souverän vertreten zu können?

Welche Bedeutung kann die soziale Herkunft eines Bundesbruders für seine persönliche Entwicklung und die seines Bundes haben? Hat ein Aktiver aus einer Nichtakademikerfamilie durch seine Mitgliedschaft in einem CC-Bund bessere gesellschaftliche Aufstiegschancen? Wird nicht so manches Paukzeug des eigenen Bundes durch die handwerklich geschickte Familie des Verbandsbruders auf Vordermann gebracht?

Arbeitsumfeld, Rollenbilder und soziale Herkunft sind nur drei Beispiele für Felder, in denen der Coburger Convent, manchmal ohne es bewusst wahrzunehmen, die Vielfalt seiner Mitglieder vereint.

Wir als Turnerschaft Berlin nehmen diesen Fortschritt in unserem Bund wahr, wo eine vielfältige Aktivitas unterstützt durch eine engagierte Altherrenschaft die Grundwerte unseres Bundes in die Zukunft trägt. Diese Zukunft wird auch durch die zunehmende Vielfalt an Fachdisziplinen der jungen Aktiven gestärkt. Sie bereichert den akademischen Diskurs in unseren Bünden und fördert das interdisziplinäre Denken und Handeln. Wir werden im Rahmen unseres Präsidiums diese in vielen Bünden schon selbstverständlich gelebten Entwicklungen in der Verbandsöffentlichkeit thematisieren. Unser Ziel ist, unseren Verbandsbrüdern die in der Vielfalt liegenden Chancen für ihren Bund und die Zukunft unseres Verbandes ins Bewusstsein zu rücken.

In Verbindung mit unserem Wertegrundsatz „Ehre – Freiheit – Freundschaft – Vaterland“ und der Fülle unserer Farben und Traditionslinien ist unser Coburger Convent für eine erfolgreiche Zukunft bestens aufgestellt. Er ist ganz im Geiste unseres Präsidialmottos „in Vielfalt vereint“.

M. Raabe, L. Ehlers, J. Kurscheit
CC-Sprecherteam 2024/25