Rede anlässlich des Festkommerses des 148. Pfingstkongresses 2016
Festredner: Dr. Holger Marsch, Landsmannschaft Rhenania Münster
Hohes Präsidium, werte Festcorona,
wir konnten uns dem nicht entziehen, Krisen beherrschten die Schlagzeilen der vergangenen Jahre. Man hatte sich bereits daran gewöhnt, diese Tragödien der Reihe nach abzuarbeiten, den ersten und zweiten Golfkrieg, Gott sei Dank weit entfernt, die Anschläge auf das World Trade Center vom 11. September 2001, die die heimelige Beschaulichkeit trotz der geographischen Entfernung schon deutlich mehr störten; den Balkankrieg, die weltweite Bankenkrise. Alle Katastrophen erreichten uns schön geordnet der Reihe nach. Die Welt mutete uns nicht mehr zu, als wir verkraften konnten. Der Rest – z.B. den grausamen Genozid in Ruanda oder die ohne Störung von außen verübten Verbrechen des nordkoreanischen Systems an der eigenen Bevölkerung – ließen sich gut verdrängen.
In der jüngsten Zeit hat sich das bedrohlich geändert: die Staatspleite Griechenlands in mehreren Auflagen, die russische Aggression auf der Krim, der islamistische Terror in der europäischen Nachbarschaft, der Syrienkrieg, dessen nicht enden wollende Gewalt uns die Flüchtlinge unvermeidlich vor Augen führen. Die Krisen haben sich angewöhnt, alle zugleich auf uns einzuwirken. Sie sind längst stärker geworden als unsere Fähigkeit, sie zu ignorieren. Und durch die Parallelität der Ereignisse hat sich noch etwas geändert: Niemand glaubt mehr, in einer Ausnahmephase zu leben. Die neue Krisennormalität ersetzt allerdings keineswegs die anderen Menschheitssorgen, sie belastest vielmehr zusätzlich.
Unter dem Druck des prall gefüllten Sorgenrucksacks wird die sachliche Auseinandersetzung mit all den Notlagen, wird der gelebte gesellschaftliche Diskurs heftiger. Politiker haben immer schon weitgehend ohne Rücksicht auf die Integrität des Gegenüber polarisiert – wir haben uns längst daran gewöhnt. Aber mittlerweile sind auch die Diskussionen im Freundes- und Bekanntenkreis – sofern sie angesichts der scheinbaren Aussichtslosigkeit der Situation denn überhaupt noch stattfinden – bissiger geworden. Psychologisch betrachtet dient die heftige Abwehr der jeweils anderen Position offenbar auch der Abwehr der neuen Lage. Lösungen können so nicht gefunden werden.
Und wer weiß denn überhaupt noch, wem oder was er glauben soll? Eine gewisse Diskrepanz zwischen dem, was Staatsmänner denken und sagen, hat es immer gegeben. Sie ist aber deutlich größer geworden. Die führenden Politiker wollen es offenbar vermeiden, uns weiter zu verunsichern mit ihrer für mich gut verständlichen eigenen Verunsicherung. Frau Merkel hat es in einem kurzen und sehr eindrucksvollen Satz auf den Punkt gebracht als sie 2012 sagte: „Wir dürfen die Märkte jetzt nicht beunruhigen“.
Wer regiert hier eigentlich? Klingt das nur für mich wie eine Kapitulation vor denen, die in diesem Land offenbar wirklich regieren. Schon im Rahmen der Bankenkrise war der Bürger nur als zahlungskräftiger Erfüllungsgehilfe gefragt. Informationen darüber, wieso es überhaupt zu derartigen Auswüchsen finanzieller Akrobatik hat kommen können, und was man zur Verhinderung einer Wiederholung dagegen zu tun gedenkt, fielen spärlich aus. Der Bürger wird mit der Wahl zwischen Verwirrung und Wut allein gelassen.
Das war übrigens mal ganz anders: Im Jahre 1637 ist die Spekulationsblase mit Tulpenzwiebeln geplatzt. Damals ist das passiert, was immer passiert, wenn eine Spekulationsblase platzt – das wissen Sie vielleicht aus der jüngsten Vergangenheit noch: alle Banker, Spekulanten und Gläubiger sind zur niederländischen Regierung gegangen und haben gesagt, wir brauchen jetzt Staatsgeld sonst ist das Land pleite und zerfällt. Die Regierung hat sich dann zur Beratung zurückgezogen und hat nach zwei Tagen folgende Regierungserklärung verlesen lassen, ich zitiere: „Die Tulpenzwiebelspekulationen sind in einer Art Fieber zustande gekommen, also im Zustand der Unzurechnungsfähigkeit. Bei Spielsucht ist aber nicht der Staat zuständig sondern der Arzt.“
Das ist doch mal eine Regierungserklärung, so was würde man sich heute auch wünschen. Erwarten darf man so eine klare Haltung allerdings nicht mehr, heutzutage scheitert es bereits am Mut zur Ehrlichkeit. Der Essener Ratsherr Guido Reil hat sich in einem Interview über die Flüchtlingsdebatte mit der auflagenstärksten Zeitung des Ruhrgebiets im Januar dieses Jahres folgendermaßen geäußert, ich zitiere: „Viele von den Kollegen in der Politik denken wie ich, trauen sich aber nicht, offen etwas zu sagen. Es herrscht in diesem Land ein bedrückendes Meinungsklima. Es gibt eine fast panische Angst, in die rechte Ecke gestellt zu werden“.
Endlich hat es mal einer gesagt, was wir alle ohnehin schon lange wissen. Die sogenannte Political Correctness beschränkt die freie Meinungsäußerung – sie ist kein Rahmen für eine Diskussion sondern ein beliebig einsetzbares Totschlagargument!
Wir müssen uns erfreulicherweise keine ernsthaften Sorgen machen, falsch verstanden zu werden. Die schlagenden Verbindungen werden bereits seitdem ich denken kann öffentlich meist ungeprüft und undifferenziert in diese rechte Ecke gestellt, und das obwohl weder vom Verband noch von einzelnen Verbindungen politische Stellungnahmen veröffentlicht werden. Vielleicht auch gerade deswegen?
Gleich werden wir es wieder erleben. Freuen Sie sich auch schon auf die trillernden Pfeifen, die traditionell unseren Fackelzug begleiten werden? Mein ehemaliger Chef hat mir gesagt, der Fackelzug erinnere ihn an die Aufmärsche der NS-Zeit. Er ist wohlgemerkt Verbandsbruder. Können wir also einem Nichtkorporierten verdenken, wenn er ähnlich empfindet? Natürlich verbindet unseren Fackelzug nichts mit einem Unrechtsregime sondern stellt einen traditionellen akademischen Akt dar – genau so, wie wir ihn auch begehen. Die Studenten liefen mit Fackeln zum Campus, um dem neuen Rektor ihre Aufwartung zu machen. 2010 haben übrigens Studenten in Saarbrücken einen Professor für Informatik dazu gebracht, ein anderes Stellenangebot abzulehnen und der Universität treu zu bleiben. Ihre Wertschätzung haben sie mit einem Fackelzug zum Campus ausgedrückt. Niemand hat daran Anstoß genommen, aber warum setzen wir nicht auf Aufklärung und kommunizieren die Hintergründe unserer Veranstaltungen? Es hilft zumindest den Füxen und sonstigen Coburg-Novizen, die sonst möglicherweise staunend vor den Flammen stehen.
Wir bestimmen unser Bild in der Öffentlichkeit selbst, zumindest bestimmen wir es mit. Deswegen müssen bereit sein, zu kommunizieren und die Meinungen und Zweifel anderer Menschen ernst zu nehmen, ganz so, wie der Respekt das ohnehin gebietet. Natürlich wollen einige nichts wissen, aber Menschen, die sich eine geprüfte Meinung bilden möchten, werden mit diesen Informationen das Richtige anfangen können. Wissen entkräftet Spekulationen und Ängste. Wenn wir nur intern Rituale pflegen, befördern wir Spekulationen und Interpretationen, und werden weiterhin – wie ich finde völlig zu Unrecht – in der Öffentlichkeit an den Rand der Gesellschaft gestellt.
Der ehemalige vorsitzende Verfassungsrichter Bockenförde hat formuliert: „Der Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“ Er meinte vermutlich, dass der für die Organisation gewählte Teil des Staates sie nicht garantieren kann. Die Voraussetzungen für eine funktionierende Gesellschaft garantieren die Mitglieder durch die bewusste Teilnahme selbst. Wir sind als Bürger Teil der Gesellschaft, aber auch unsere Bünde als Gemeinschaften sind es. In der Bürgergesellschaft tun wir uns oft schwer, wie wir gesehen haben und auch wissen. In der Gemeinschaft darf es nicht so sein.
„Eine Gesellschaft ohne Gemeinschaften kann es nicht geben“. Dieses Zitat stammt von Ferdinand Tönnies, dem Gründungsvater der deutschen Gesellschaft für Soziologie. Ich versuche, es kurz zu machen, aber ein wenig Grundsätzliches über die Beziehung zwischen Gesellschaft und Gemeinschaft muss ich ausführen, damit die Bedeutung unserer Bünde bzw. des Verbandes für die Gesellschaft – und damit unser CC-Jahresmotto: Fördert Wissen, fordert Handeln; wertvoll für die Gesellschaft – besser verständlich wird.
Gemeinschaft ist definiert als der „ursprüngliche und natürliche Zustand des Zusammenlebens von Individuen. Jeder von uns wird in die Gemeinschaft der Familie geboren. Verwandte kann man sich nun mal nicht aussuchen, wie uns gelegentlich auf Familientreffen schmerzhaft klar wird; Freunde schon, womit eben beschrieben wäre, dass es vorgegebene Kollektive gibt, neben der Familie, z.B. den Kollegenkreis, die Nachbarschaft und ähnliche, und freiwillige Gemeinschaften wie die Partei, die Kirche und jegliche Art von Vereinen. Während bei der ersten der Zwang besteht, sich gemeinsam einer Verantwortung zu stellen, beruht die freie Gemeinschaft – wie eben unsere Bünde – darauf, dass das Individuum, also jeder von uns, aus eigenem Willen Bestandteil dieser wird und sie als Selbstzweck auffasst. Menschen, die in Gemeinschaft leben, sind üblicherweise sehr am Erhalt und dem Ausbau derselben interessiert. Allen Gemeinschaften ist gleich, dass sie eine Einheit von Menschen darstellt, die mit- und füreinander leben.
Im Gegensatz dazu leben Individuen getrennt voneinander in nationalen oder kosmopolitischen Gesellschaften. Die Teilnahme beruht auf einem Zweck-Denken, das heißt, Menschen empfinden die Gesellschaft in der Regel nur dort, wo sie dem eigenen Vorteil dient. Wenn sie an die Steuer-CDs oder Ihren letzten Haftpflichtschaden denken, werden Sie wissen, wen und was ich meine.
So kann eine Solidargemeinschaft natürlich nicht gut funktionieren und anhand der Unterschiede sehen wir, wie bedeutend Gemeinschaften für die Gesellschaft sind. In der Gesellschaft suchen Menschen den eigenen Vorteil, in der Gemeinschaft verhalten wir uns um ihrer selbst Willen gestaltend mit dem Ziel des Erhaltes bzw. der Weiterentwicklung. Es gibt genügend gute Beispiele, Amnesty international, Ärzte ohne Grenzen, Greenpeace, Transparency international um nur einige zu nennen. Diese Organisationen stellen ihre Überzeugungen in den Focus ihres Handelns und damit in die Öffentlichkeit. Und genau das ist der Grund für ihren Zulauf und die Unterstützung, die ihnen zuteil wird: sie überzeugen andere durch ihre Überzeugungen.
Jeder dieser Vereine kümmert sich auf unterschiedlichste Weise um das Gemeinwohl, um den Schutz der Umwelt, den Schutz des Lebens, den Schutz der Freiheit, eine gerechtere Güterverteilung oder die Liquidität von Wohltätigkeit. Das gemeinsame Einstehen für Überzeugungen, die identische Ethik eint die Mitglieder untereinander. Somit gestalten diese Gemeinschaften unsere Gesellschaft.
Auch wir haben unsere Überzeugungen, sonst könnten wir nicht nach 148 Jahren immer noch in diesem speziellen Rahmen unseren Verband feiern. Es muss demzufolge die Frage gestellt werden, welcher Geist uns eint, welcher Geist, der es uns erlaubt, Lieder zu singen, deren Inhalte bestenfalls vor der lange zurückliegenden Geschichte verständlich sind?
Wir sind weder religiös noch politisch. Wir sind nicht wohltätig und haben keinen wissenschaftlichen Anspruch. Wir halten uns für Demokraten, wie sich alle anderen auch dafür halten. Wir bieten die Möglichkeit zu Freundschaften an, die sich günstigstenfalls entwickeln können; so wie jeder beliebige Verein ebenso. Das alles scheidet folglich als besondere Grundlage für unser Gemeinschaftsbewusstsein aus.
Wenn wir uns allerdings auf unsere Ursprünge besinnen, wird die Grundlage schnell klar. Studentenverbindungen wurden aus zwei Motiven heraus gegründet; einerseits vereinigten sie die idealistischen Kämpfer für eine demokratische Gesellschaft in Deutschland, zum anderen boten sie mit ihren Bundeshäusern einen Ort, an dem die aus allen Landesteilen stammenden Studenten Gemeinschaft und Austausch pflegen konnten. Beide Leitgedanken sind auch heute noch in unseren Verbindungen aktuell.
Sie begründen unseren Wert an sich und damit auch den für die Gesellschaft. Vorrangig sind unsere Veranstaltungen zur Pflege der Gemeinschaft gedacht; sie bieten uns auch und vor allem durch ihre besonderen Formate ein vertrautes Umfeld, eine Art Heimat, die in Zeiten der Globalisierung wieder an Bedeutung gewinnt. Selbstverständlich sind uns Gäste willkommen, nur wissen wir, dass erhebliche Berührungsängste bestehen. Unser in der Gesellschaft kursierendes Bild von Eliten mit Schmiss, rechter Gesinnung und gesteigertem Bierkonsum macht den Schritt zu uns ja nicht gerade einfach und eigentlich nur für offene und vorurteilsprüfende Menschen möglich.
Dass bei uns Alkohol konsumiert wird, geschenkt! Warum denn auch nicht? Alkohol ist derart fest in unserer Gesellschaft verankert, dass man sich gelegentlich rechtfertigen muss, wenn man nichts trinkt. Was soll also dieser Vorwurf?
Wir fechten. Ja und? Sollen wir etwa dafür entschuldigen, dass wir bereit sind, mehr für unsere Gemeinschaft einzusetzen als Geld, Zeit und warme Worte?
Eliten? Überdurchschnittlich qualifizierte Personen in unseren Reihen zu wissen – und genau das ist die Definition von Elite – bedarf sicher auch keiner Entschuldigung sondern entspricht dem unsere Gesellschaft prägenden Leistungsprinzip! Eliten sind dann schlecht, wenn sie sich nur als solche empfinden ohne es zu sein oder ihrer Verantwortung nicht gerecht werden.
Rechte Gesinnung? Für Rhenania, meinen Mutterbund Hammonia Marko Natangia und viele andere CC-Bünde weiß ich, dass wir dieses Vorurteil nicht bestätigen werden; für andere Verbindungen im deutschsprachigen Raum kann das wohl niemand sicher sagen. Gerade deswegen ist es so wichtig, eine eindeutige und nicht interpretationsfähige Haltung einzunehmen – so wie unser Verband das mit der Distanzierung von der Dt. Burschenschaft 2011 unmissverständlich getan hat.
Menschen zweifeln; zurecht natürlich, weil auch Vorurteile irgendwo ihren Ursprung haben. Selbstverständlich basieren sie auf Wahrheiten. Machen wir uns nichts vor; wir kennen Korporierte, die genau dem gezeichneten Bild entsprechen. In jedem Verein sind Mitglieder zu finden, die nicht zur Repräsentation taugen. Lassen Sie uns die Vorurteile hören, denn sie bieten uns die Chance, denen zu zeigen, die es wirklich wissen wollen, dass sie keine allgemeine Gültigkeit besitzen; gleichzeitig fordern sie uns auf, uns gegen die Auswüchse am Rand zu positionieren. Wir sollten das um den Erhalt unserer Werte willen auch tun!
Für den CC-Übergabekommers im kommenden Sommer wollten wir den Rathaussaal mieten und haben bei der Stadt Münster angefragt. Der Rat der Stadt hat abgelehnt. Wir haben auf Dialog gesetzt und die Ratsmitglieder zum Frühstück eingeladen. Gekommen ist leider niemand, Absagen hat es nicht gegeben. Schade, man möchte ihnen zurufen: Liebe Ratsmitglieder öffnen Sie Ihr Visier! Demokratie funktioniert nur im Austausch und nicht hinterrücks aus der sicheren Deckung.
Bei uns gibt es so ein Verhalten nicht! Es widerspricht nämlich unserem Konstruktionsprinzip und vor allem unserem Werteverständnis. Bei uns werden die Dinge nicht unter den Tisch gekehrt oder ausgesessen sondern ausgefochten – was, zugegebenermaßen, aber auch nicht immer amüsant ist! Als ich Fuxmajor war haben wir einen Türken aktiv gemacht. Das war satzungsgemäß so gar nicht vorgesehen- verfassungsrechtlich natürlich ein Eklat. Sie können es sich vermutlich vorstellen, auf unserem Generalconvent herrschte der Ausnahmezustand.
Schlussendlich haben wir die Satzung geändert und damit die Rechtmäßigkeit herbeigeführt. Als die Lösung gefunden war, die allen gerecht wurde, herrschte sofort wieder Ruhe. Trotz der teilweise hitzigen Diskussionen war die bundesbrüderliche Integrität nie in Frage gestellt worden; es blieb keinerlei atmosphärische Störung zurück. Es hatte einen offenen und ehrlichen sowie zielgerichteten Austausch der BbrBbr. gegeben. Schon des öfteren haben Freunde oder Bekannte, die keiner Studentenverbindung angehören, mir gegenüber den besonderen Umgang Korporierter untereinander gerühmt. Wir sollten uns dessen besinnen und ihn dringend bewahren.
Funktionieren können solche Prozesse nur durch die beiderseitige Toleranz. Genau deswegen ist Toleranz eine so anstrengende – und in der Gesellschaft oft missverstandene – Tugend. Sie bedeutet eben nicht Indolenz, nicht Desinteresse, nicht Gleichgültigkeit und schon gar nicht Beliebigkeit. Bei der Toleranz als einer Tugend der praktischen Vernunft geht es um die schwierige Verbindung von eigenem Wahrheitsanspruch mit der Anerkennung des Wahrheitsanspruchs des anderen. Erst wenn Toleranz mehr wird als die gnädige Duldung, nämlich Respekt vor dem anderen und seinem Wahrheitsanspruch, erst dann gelingt Demokratie.
Unsere Bünde haben sich mit dem Ziel gegründet, die Demokratie in unserer Gesellschaft zu etablieren und haben sich über Jahrhunderte ihre Demokratiefähigkeit erhalten. Wir haben deine Vielzahl von Conventen, auf denen wir unsere Standpunkte äußern und austauschen.
Und nur die freie Meinungsäußerung lässt einen politischen oder gesellschaftlichen Diskurs zu. Alternative Ansichten sind der Maßstab, an dem wir unsere eigenen Ideen messen und weiterentwickeln können und müssen. Ohne eine Auseinandersetzung wie wir sie in unseren Bünden wie selbstverständlich leben, kann sich eine Gesellschaft nicht erneuern und damit nicht auf veränderte Bedingungen einstellen.
Haben wir nicht die beste aller Gesellschaftsformen heißt es immer und alle nicken ergriffen, als müsste nicht auch das beste System immer wieder erneuert werden, als müsste man nicht immer bereit sein, sein Weltbild in Frage zu stellen. Und wie perfekt ist denn nun dieses beste aller Systeme wirklich? Nur weil es den meisten hierzulande finanziell noch ganz gut geht. Ein System mit hemmungslos spekulierenden Fondsmanagern, mit dem organisiertem Verbrechen an der Biosphäre, ein System, in dem Vernachlässigung, Verdummung und Verwahrlosung Prinzip sind.
Und wer kämpft denn noch gegen den Ausnahmezustand? Es wird in unserer Gesellschaft gelogen und betrogen, manipuliert und geschmiert, jeden Tag berichtet man uns von neuen Skandalen, ob sie nun aus der Automobilbranche, der Politik, dem Sport oder sonst woher kommen. Und dann wird uns irgendein Täter in die Manege geschleift, der für alles die Verantwortung zu übernehmen hat; den können wir dann beschimpfen und bespucken und an ihm unsere emotionale Notdurft verrichten und dann geht es genauso weiter wie vorher. Herr Akkermann war einer von denen, an denen wir uns immer wieder abarbeiten duften. Ich will ihn wirklich nicht in Schutz nehmen; aber seien wir doch mal ehrlich: Welche Chance hätte die vermeintliche Gier der Banker ohne unsere Gier? Wir verbrennen andere Menschen auf den Scheiten der Ideologie und erteilen uns gleichzeitig damit die Absolution. Diese Unehrlichkeit muss aufhören!
Wenn wir etwas verändern wollen, müssen wir mit uns anfangen, müssen wir erkennen, dass wir alle, Sie und ich, voll und ganz für den Gesamtzustand dieser Gesellschaft verantwortlich sind. Wir sind Teil dieser gigantischen Gesellschaft mit ihrem religiösen Hass, ihrer Brutalität und Gier. Nur wenn wir das klar erkennen, werden wir überhaupt die Chance haben, das umzusetzen, was von Intellektuellen rund um den Globus ständig gefordert wird und was wir – wenn wir ehrlich sind – schon lange wissen: das sich unsere Einstellung ändern muss. Wir müssen unser Leben in Respekt vor den anderen führen. Das System trifft keine Schuld, das System ist gut. Es scheitert, wenn es denn scheitert, am Menschen.
Ich habe vermutlich nicht als Einziger den Eindruck, dass unsere Gesellschaft damit und mit den aktuellen Herausforderungen völlig überfordert ist. Wenn sie der Verelendung nicht billigend zusehen und sich daran schuldig machen wollen, müssen die Gemeinschaften sich an dieser Stelle in die Verantwortung nehmen lassen. Wir Waffenstudenten sind eine in sich geschlossene Gemeinschaft. Aufgrund ihres Aufbaus bilden unsere Verbindungen einen fruchtbaren Nährboden für demokratische und zivile Umgangsformen. Da wir auf neue Mitglieder angewiesen sind, müssen wir offen sein. Durch das Suchen nach gemeinsamen Lösungen leben wir eine echte Demokratie. Wir haben die Institute, auf denen wir unsere Standpunkte austauschen und damit schaffen wir die Möglichkeit einer fortwährenden Erneuerung. Wir müssen keine Sorgen haben, dass unser Verhältnis untereinander nachhaltig gestört wird, weil wir getreu dem CC-Wahlspruch den Wert der „Ehre“ achten und somit unsere BbrBbr. nicht nur dulden sondern respektieren.
Wir sorgen durch unsere verschiedenen Fähigkeiten, Kulturen, Fachrichtungen, Ideen, religiösen oder politischen Überzeugungen für eine Persönlichkeitsreifung bei unseren BbrBbr. und die Ausbildung zu demokratisch geschulten Bürgern, die nicht nur ihre Rechte kennen sondern die auch die Verantwortung nicht scheuen. Somit verfügen wir als eine von vielen Gemeinschaften über alle notwendigen Mittel, um unsere Gesellschaft zu gestalten und zu verbessern. Es ist an uns, es in die Gesellschaft einzubringen. Der erste Schritt ist aber, es in unseren Bünden zu leben.
Sollte ich mich bei der Beurteilung der Situation getäuscht haben, liegt es daran, dass auch meine Feststellungen nicht den Anspruch auf absolute Richtigkeit erheben. Es ist natürlich nur meine subjektive Wahrheit, von der ich weiß, dass sie nicht mit der aller deckungsgleich ist und von der ich hoffe, dass sie wenigstens die Mehrheit von Ihnen mit mir teilen. Es ging mir auch gar nicht um eine objektive Realität. Ich wollte nur zeigen, an welchem Ideal wir uns orientieren sollten.
Wenn Sie jetzt denken, auf mich kann es ja wohl dabei nicht ankommen, wird der Impuls, den ich durch diese Rede zu geben hoffe, verpuffen. Täuschen Sie sich nicht, es kommt nur auf Sie an!!