Rede anlässlich des Totengedenkens am 10. November 2018 am Ehrenmahl des VC auf der Burg Greifenstein
Von Dr. Christian Kau, Landsmannschaft Cimbria Freiburg
Sehr geehrte Waffen- und Farbenbrüder,
liebe Verbands- und Bundesbrüder,
meine Damen und Herren,
vor 100 Jahren, am 11.11.1918, endete der 1. Weltkrieg mit der Unterzeichnung des Waffenstillstands von Compiègne. Dieser Waffenstillstand, unterzeichnet in einem Eisenbahnwaggon auf einer Waldlichtung, beendete Kriegshandlungen, die sich über vier Jahre zogen und an denen sich insgesamt 40 Staaten mit nahezu 70 Millionen Menschen unter Waffen beteiligten.
Gerade auch in meiner Studienstadt Freiburg, wegen ihrer unmittelbaren Nähe zu Frankreich, ist der Krieg in das Leben der Stadt eingedrungen und hat keinen Teil ausgespart. Er beherrschte Handel und Gewerbe, Verwaltung und Universität, Arbeit und privates Leben. Der Krieg hat sich den Sinnen der Freiburger geradezu aufgedrängt: Sie konnten ihn sehen, hören, fühlen, riechen. Bis zum Kriegsende hatte Freiburg mehr Luftangriffe zu erdulden als jede andere deutsche Stadt.
Die Folgen des 1. Weltkrieges: etwa 17 Millionen Tote (zwei Drittel Soldaten und ein Drittel zivile Opfer), ca. 20 Millionen Verwundete; wirtschaftliche und soziale Not; Hunger und Krankheiten, die weltweit viele weitere Millionen Menschenleben in der Nachkriegszeit kosteten.
Die politischen Folgen sind uns aus der Geschichte bekannt: Ende monarchischer Staatsformen – in Deutschland beispielsweise endete das Kaiserreich, in Russland das Zarenreich -; eine Neuordnung der politischen und gesellschaftlichen Landkarten; Erwecken “neuer” nationaler Interessen in verschiedenen Staaten, die sich zu radikalen Ideologien verdichteten und schließlich – angetrieben durch den deutschen Nationalsozialismus – zum 2. Weltkrieg führten.
Dieser stellte den 1. Weltkrieg nochmals deutlich in den Schatten: Mehr als fünfeinhalb Jahre Kriegshandlungen unter Beteiligung von über 60 Staaten und mehr als 110 Millionen Menschen unter Waffen. Über 65 Millionen Kriegstote mit einem Anteil von über 50% Zivilisten.
Beide Kriege zusammen kosteten an die 83 Millionen Menschen das Leben. Das entspricht der heutigen Gesamtbevölkerung von Deutschland. Einmal ganz Deutschland – einfach ausgelöscht, um sich einmal die Dimensionen zu vergegenwärtigen.
Als ein einprägsames Beispiel für die Sinnlosigkeit des Krieges wird – gerade für uns akademische Korporationen – oft die Schlacht von Langemarck aus der Anfangszeit des 1. Weltkriegs herausgehoben, an der auf deutscher Seite besonders viele Studenten beteiligt gewesen sein sollen. Die deutschen Verluste, soweit man dies den Aufzeichnungen entnehmen kann, lagen bei mindestens 100.000 Mann. Auf dem deutschen Soldatenfriedhof im belgischen Langemarck sind nach wie vor die Gedenkstelen der verschiedenen Korporationsverbände zu finden. Trotz schwerster Verluste an Menschenleben konnte seinerzeit das Ziel der deutschen militärischen Führung, durch einen Angriff die gegnerischen Versorgungslinien abzuschneiden, nicht erreicht werden.
Wir alle kennen die Bilder aus den Geschichtsbüchern, wie sich damals junge Männer begeistert als freiwillige Kriegsdienstleistende meldeten, um dem Vaterland zur Ehre zu gereichen. Vaterland – ein Begriff, der zu den Grundbegriffen unseres Verbandes gehört und über dessen inhaltliche Bedeutung bei der diesjährigen Greifensteintagung ausführlich reflektiert und diskutiert wird.
Wir im 21. Jahrhundert haben sicherlich ein anderes, differenzierteres, auch internationaleres Verständnis des Vaterlands als dies Anfang des 20. Jahrhunderts der Fall war. Was aber in der Verantwortung eines jeden bleibt, ist, das anzunehmen, was von den Vorgenerationen hinterlassen wurde, und es im Sinne eins gemeinschaftlichen Miteinanders weiterzuentwickeln. Respektvoll mit dem umzugehen, was zuvor aufgebaut wurde; sich kritisch mit dem auseinanderzusetzen, was sich als Irrweg erwies. Und stetig daran zu arbeiten, Gutes zu fördern und Schlechtes zu verändern. Das ist die Verantwortung von uns allen, als Vertreter unserer Gesellschaft.
Natürlich haben sich die Zeiten gewandelt. Auch wenn es der ein oder andere nicht wahrhaben mag, die Welt wird immer kleiner. Informationen können binnen Sekunden um den ganzen Globus verteilt werden, ein Trip ans andere Ende der Welt dauert maximal einen Tag, unsere Netzwerke werden größer und internationaler. Trotz aller Besorgnisse, die eine solche Entwicklung auslöst: ich erachte sie als etwas Positives. Der Austausch mit Kontakten oder sogar Freunden in Fernost, in Amerika oder Afrika hilft uns, ein differenziertes Bild von der Welt und auch unserer eigenen Gesellschaft zu sehen. Der Mensch in Frankreich oder Polen ist nicht mehr mein Feind, er ist mein Nachbar, mein Bekannter. Wie sagte Verbandsbruder Günther Oettinger auf dem Übergabekommers in Erlangen: „Europa ist in Anbetracht der Welt die kleinste politisch relevante Einheit!“
Auch im militärischen Bereich merkt man dies. Die Zusammenarbeit zwischen den Armeen verschiedener Länder, die gegenseitige Hilfe bei der Verteidigung oder sogar die Gründung gemeinsamer Einrichtungen ist schon seit längerer Zeit Teil der militärischen Normalität. Ich habe dies in der Zeit meines Wehrdienstes Mitte der 90-er Jahre selbst erlebt, beim Aufbau einer internationalen Notfall-Evakuierungstruppe gemeinsam mit amerikanischen, französischen oder belgischen Armeeangehörigen, oder beim deutsch-französischen Waffenforschungsinstitut – bzw. weniger martialisch: Institut für Sicherheits- und Verteidigungsforschung – im Elsass.
Ist solch eine Entwicklung nicht wunderbar, nach dem, was in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts geschehen ist? Wie vor kurzem eine ältere Dame anlässlich einer Bunkerbesichtigung in Düsseldorf sagte, die als Teenager dort wochenlang unter Beschuss ausharren musste: „Es gibt im Leben viel Unglück – Hunger, Kälte oder Krankheiten. Das lässt sich alles aushalten, aber Krieg ist das Schlimmste!“
Daher ist es so wichtig, das, was wir in den letzten Jahrzehnten erreicht haben, auch zu verteidigen. Gerade auch die friedliche Überwindung der deutsch-deutschen Teilung, die auf beiden Seiten so viel Leid verursacht hat. Wenn wir uns umschauen, wo überall auf der Welt Konflikte gewaltsam ausgetragen werden. Wo sich der Ton verschärft, das politische Klima rauher wird. Wir können von Deutschland heraus sicherlich nicht der ganzen Welt helfen, und diese Erwartung an uns wäre auch falsch. Aber wir können uns mit anderen Willigen zusammentun und unsere Werte verteidigen. Unsere Freiheit verteidigen. Nach innen und außen. Gegenüber denjenigen, die die Freiheit anderer mit Füßen treten. Und auch gegenüber denjenigen, die in unser Land kommen und unsere Lebensweise missbilligen.
Wenn wir als Akademiker nicht einstehen und Verantwortung übernehmen, wer soll es dann tun? Das sind wir unserer Gesellschaft, das sind wir unseren Vorfahren schuldig, und nicht zuletzt denjenigen, die ihr Leben gelassen haben für ihr Vaterland. Und denjenigen, die die innerdeutsche Teilung nicht akzeptiert haben und für die Wiedervereinigung kämpften oder gar beim Versuch, ihre persönliche Freiheit zu finden, gestorben sind. Lassen Sie uns deshalb nun gemeinsam gedenken der Toten, die uns dazu ermahnen, einzutreten für unsere Werte, die Freiheit zu verteidigen und Verantwortung zu übernehmen.
Ich danke Ihnen!