Rede Totengedenken 2015
Redner: Dr. Frank Klauss
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, verehrte Verbandsbrüder, Coburger und Gäste, liebe Bundesschwestern und Bundesbrüder,
wie jeden Pfingstmontag haben wir uns rund um das Ehrenmal des Coburger Conventes für die Toten der vergangenen Weltkriege versammelt. Auf seinen vier Seiten, in Stein gemeißelt, der Wahlspruch des Coburger Conventes, unser Wahlspruch:
Freiheit – Ehre – Freundschaft – Vaterland.
Dieses Denkmal steht stellvertretend für die tausenden Gräber unserer Verbandsbrüder, die in zwei Weltkriegen ihr Leben verloren haben. Und jedes mal, wenn ich an diesem Mahnmal stehe, empfinde ich
Trauer – Scham – Zuversicht.
Ich empfinde Trauer für die vielen Leben der Bundes- und Verbandsbrüdern, die wegen Nationalismus und auch Rassenhass ihr Blut sinnlos vergossen haben. Von ihren Vätern, Lehrern und Bundes- und Verbandsbrüdern wurden sie Anfang des letzten Jahrhunderts in den Tod geschickt. Gerade erst hatte ihr Leben begonnen. Der Kommilitone Alfons Ankenbrand schrieb im Januar 1915 in einem Brief nach Hause: „Ich sehe den Tod und rufe dem Leben. Wenig geleistet hatte ich in meinem kurzen Leben, das doch meist mit Studium angefüllt war.“ [Zitat Ende]
„Dulce et decorum est pro patria mori“, hatten sie Ankenbrand und den anderen versprochen. „Süß und ehrenvoll ist es, für das Vaterland zu sterben“. Ich könnte viel über dieses aus dem Zusammenhang gerissene Zitat von Horaz referieren, mich über das wirkliche Kriegserlebnis auslassen. Ich denke aber, dass der jung im Krieg gefallene englische Dichter Wilfried Owen (1893 – 1918) dies alles in wenigen Zeilen eines Gedicht auf den Punkt gebracht hat. Es trägt eben den Titel „Dulce et decorum est pro patria mori“ und ist aus einem Brief an seine Mutter vom 16. Oktober 1917 überliefert:
„Zweifach gebeugt wie alte Bettler unter ihrem Sack,
X-beinig, hustend wie alte Weiber, fluchten wir uns durch Schlamm,
Bis wir den herumgeisternden Leuchtkugeln den Rücken zuwandten
Und unserer fernen Ruhe entgegentrotteten.
Männer marschierten im Schlaf. Viele hatten ihre Stiefel verloren
Aber hinkten auf blutigen Sohlen weiter. Alle wurden lahm, alle blind,
Trunken von Erschöpfung, taub selbst für das Heulen
Der fehlgegangenen Granaten, die hinter uns einschlugen.GAS! Gas! Schnell, Jungs! – eine ekstatische Fummelei,
Um die plumpen Helme rechtzeitig aufzusetzen.
Aber jemand schrie da noch und taumelte
Und zappelte wie ein von Feuer oder Ätzkalk Verbrannter.
Undeutlich, durch die beschlagene Scheibe und trübes grünes Licht
Wie in einem grünen Meer, sah ich ihn ertrinken.In all meinen Träumen, vor meinen hilflosen Augen,
Taucht er auf mich zu, flackernd, würgend, ertrinkend.Wenn auch du in erdrückenden Träumen liefest
Hinter dem Wagen, in den wir ihn warfen,
Und die verdrehten weißen Augen in seinem Gesicht sähest,
In seinem hängenden Gesicht, wie das eines Teufels, der der Sünde müde ist,
Wenn du hören könntest, wie bei jedem Stoß das Blut
Gurgelnd aus seinen schaumgefüllten Lungen läuft,
Ekelerregend wie der Krebs, bitter wie das Wiederkäuen
Von Auswurf, unheilbare Wunden auf unschuldigen Zungen,
Mein Freund, du erzähltest nicht mit so großer Lust
Kindern, die nach einem verzweifelten Ruhmesglanz dürsten,
Die alte Lüge: Dulce et decorum est
Pro patria mori.“
Kein Tod macht eine Nation stärker, besser. Das klingt schon unlogisch. Es macht eine Gemeinschaft ärmer, schwächer: ist immer ein Verlust. Auch ist Sterben keine Leistung. Sterben kann jeder. Es ist das Ende.
Was hätten diese Verbands- und Bundesbrüder noch alles erreichen können, wäre ihr Lebensfaden nicht viel zu früh abgeschnitten worden? Was hätten sie für ihren Bund, ihren Verband – was hätten sie für ihr Vaterland im Frieden leisten können? Großartige Wissenschaftler, Ärzte, Lehrer und Väter wäre aus ihnen geworden. Was ist uns bloß an Genius verlorengegangen. Wo könnten wir heute stehen, wären sie nicht in den Krieg und Tod gezogen? Daher sollte einem Vaterland das Leben seiner „Kinder“ zu wertvoll sein, um sie zu opfern. So wie einem richtigen Vater.
Doch statt um die Toten zu trauern, wurde dem alten Reich laut nachgeweint. Das Vaterland hatte den Menschen alles abverlangt – umsonst. Die schwärmerischen patriotischen Ideale waren auf den Schlachtfeldern und in den Schützengräbern krepiert. Übrig geblieben war ein nackter, bedingungsloser Nationalismus.
Dieser verlangte abermals nach Opfern!
Diesmal opferten die Bundes- und Verbandsbrüder neben ihrem Leben ihre Ehre, ihre Freiheit und die Freundschaft. Jetzt schickten die Söhne wiederum ihre Söhne in Krieg und Tod. Und nicht nur das. Nein, zu unserer Schande schickten sie ihre Nachbarn, Freunde, Kollegen, Millionen unschuldige Menschen ebenfalls ins Verderben. Sie kündigten ihnen die Freundschaft und nahmen ihnen die Freiheit, die Ehre und letztendlich das Recht auf Leben. Unsere Vorfahren, Bundes- und Verbandsbrüder, waren an Orten des Grauens oder haben dazu beigetragen, dass das Grauen an diese Orte kam. Ich nenne stellvertretend für viele Oradour in Frankreich, Babyn Jar in der Ukraine, Auschwitz in Polen, Berlin-Plötzensee.
Wo waren hier unsere Werte Freiheit, Ehre, Freundschaft und Vaterland?
Dafür schäme ich mich.
Wir akzeptieren diese Schuld. Auch deshalb haben wir uns heute versammelt und erinnern uns daran. Diese Trauer und Schuld sind Teil der deutschen Geschichte, der Geschichte des CC – aber nicht unserer Gegenwart!
Wir haben unsere Lektion gelernt. Die Wurzeln des Coburger Convents reichen 150 Jahre zurück – weiter als die Zeit der Kriege und des Völkermordes. Der Coburger Convent ist kein Relikt dieser Zeit, sondern ein moderner Verband des 21. Jahrhunderts.
Und daher habe ich Zuversicht in unsere Zukunft.
Gemäß unseres Präsidialmottos „accipe aut muta! – Akzeptiere oder verändere“ haben sich unsere Werte mit unserer Gesellschaft mit entwickelt. Wie unsere Mitglieder ist auch der Coburger Convent Mitglied der Demokratie, des Pluralismus und der Toleranz. Basisdemokratisch waren wir schon immer organisiert. Unsere Werte werden fortwährend mit modernem Inhalt gelebt.
So fragen wir die jungen Studenten, die zu uns kommen, nicht nach ihrem „Blut“, sondern nach ihrem Charakter. Freundschaft kennt keine Religion, Hautfarbe oder Herkunft. Wir achten und beanspruchen nicht nur unsere Ehre, sondern die Ehre eines jeden Menschen. Wir nehmen uns nicht nur die Freiheit so zu leben, wie wir es tun, sondern wir lassen jedem die Freiheit, dies auf seine eigene Weise zu gestalten.
Unser Vaterland, so wie wir es achten und uns wünschen, verlangt kein Blut mehr; es will uns schützen, fördern und sich von uns demokratisch gestalten lassen. Es ist Teil unserer Werte und die Grundlage unserer Gemeinschaft, nicht deren Grenze. Unser Vaterland gehört nicht nur den hier Geborenen, sondern allen, die hier leben und verwurzelt sind – ganz gleich von wo sie zu uns kamen.
Freiheit, Ehre und Freundschaft, die übrigen Werte unseres Verbandes, sind die Regeln des Zusammenlebens dieser Gemeinschaft. Sie schränken uns nicht ein, sondern schützen den Einzelnen und geben ihm Entfaltungsraum. Sie sind der Rahmen unserer gelebten Vielfalt, die wir nicht predigen, sondern Tag täglich praktizieren. Wir CCer sind als bunter Haufen verschiedenster Verbindungen so heterogen und pluralistisch, wie unsere moderne aufgeklärte demokratische Gesellschaft.
Diese Lektion haben wir nach zwei schrecklichen Kriegen, nach dem Holocaust gelernt. Nichts mahnt uns dazu deutlicher als die Gräber dieser Zeit, vor denen wir uns heute verneigen. Deshalb stehen wir wie jedes Jahr hier. Und deshalb ist es auch gut so.