Rede zum Gedenkgottesdienst zum 150. Pfingstkongresses 2018
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, meine Herren Geistlichen, sehr verehrte Damen und Herren, meine sehr geehrten Herren Waffen-, Farben- und Verbandsbrüder, liebe Bundesbrüder, liebe ökumenische Pfingstgemeinde,
ich begrüße Sie recht herzlich zum Gedenkgottesdienst am Ehrenmal des CC im Rahmen unseres 150. Pfingstkongress.
Wir sind hier in dieser Stunde zusammengekommen, um der Menschen zu gedenken, die nicht mehr unter uns weilen können, die uns zum Teil schon vor langer Zeit vorausgegangen sind: unsere Toten. Wir Lebenden haben eine eigenartige Scheu, über den Tod, über die Toten zu reden, obwohl wir alle doch genau um die Endlichkeit unseres Lebens wissen.
Wir sind uns bewusst, dass der Tod das unabänderliche Ende unseres Lebens ist, aber wir sprechen wenig über die Menschen, die nicht mehr sind. Und dennoch versuchen wir immer wieder einen Brückenschlag zu ihnen, indem wir ihre Gräber besuchen und schmücken, indem wir Kränze an Ehrenmälern niederlegen, indem wir ihrer in Wort und Schrift gedenken.
Diese Beziehung zu den Toten veranlasste den englischen Schriftsteller Gilbert Keith Chesterton zu den Worten: „Wir sollten auch den verkanntesten Klassen unserer Vorfahren wieder ein Stimmrecht verleihen. Fordern wir Demokratie für die Toten – ein herrlicher, sehr ernst zu nehmender Gedanke; er verlangt, die Toten nicht abzuschreiben, das Verstauben ihrer Werke nicht gleichzusetzen mit dem Ende ihres Wirkens.“
Sind wir mit dem Gedanken der Demokratie für die Toten einverstanden? Die Ansicht, sie als gleichberechtigt zu identifizieren, ist ungewöhnlich. Denn wir definieren uns ja als Hinterbliebene – unsere Familie, unseres Volkes, und haben daher den Vorwärtsbezug. Denn das Leben muss ja weitergehen; wir bestimmen unseren Standort in der Geschichte von den kommenden Generationen her, denen wir den Weg bereiteten; aber geprägt sind wir auch von den Toten, von deren Beispiel.
In früheren Jahren hatte man ein anderes, näheres Verhältnis zum Tod. Man sprach von Heimgang, von Heimgehen, und diese Worte waren Synonyme für Sterben und Tod. Dieses Gefühl ist uns ein wenig abhanden gekommen in unserer so nüchtern gewordenen technologisierten Welt. Dennoch aber meint dieses „Heimgehen“ hauptsächlich den normalen Tod des Menschen als biologisches Ende seines Lebens, weniger den durch äußere Einwirkungen erzwungenen Tod.
Hierüber aber wollen wir im Besonderen reflektieren, über die Menschen aus unseren Reihen, zu denen wir in einer eigenen Relation stehen, die Opfer geworden sind von Krieg und Gewalt, von Unterdrückung und Terror, in vielfältigster Form. Also ein Kreis von Menschen, von denen der Dichter Max Frisch sprach, wenn er in seinem Tagebuch die Frage stellt: „haben Sie Freunde unter den Toten?“ Er sagte bewusst nicht „tote Freunde“, sondern mit Absicht: „Freunde untern den Toten“, und stellte damit die besondere Beziehung zu diesen Menschen heraus.
Wenn man über die Menschen spricht, die – z.B. bei kriegerischen Auseinandersetzungen – mitten aus ihrem Leben gerissen wurden, muss man sich hüten, in ein falsches hohles Pathos zu verfallen. Dies umso mehr, als gerade der Tod im Dienste des Vaterlandes in allen Zeiten als etwas Herausragendes dargestellt wurde und dieser Tod – das ist ein eigenartiges Faktum – sehr häufig mit dem Begriff der Freiheit verbunden wurde. So lesen wir schon im alten Rom bei Vergil: „Dulce et decorum est, pro patria mori!“ – „Süß und ehrenvoll ist es, für das Vaterland zu sterben!“ Und gehen wir durch die Jahrhunderte, so finden wir diese Beziehung immer wieder; wir hören das „Freiheit oder Tod!“ der griechischen Freiheitskämpfer beim Aufstand gegen die Türken, das „Lewer dood als slaaw!“ der Friesen im Kampf gegen die Unterdrücker, und, und, und. Man denke in diesem Zusammenhang auch an so manchen Text der Lieder unseres Kommersbuches!
Ob das aber wirklich stimmt? Das sollten wir hinterfragen. Wohl die meisten von uns haben zu feierlichen Anlässen mal einen „Landesvater“ mitgemacht, oft nicht ohne innere Bewegung, und dabei den Vers gesungen „…Sterben gern zu jeder Stunde, achten nicht der Todeswunde, wenn das Vaterland gebeut!“ Sterben gern? Mitten aus dem blühenden Leben heraus? Ich habe da – und das mag manchem wie ein Sakrileg vorkommen – meine Zweifel.
Natürlich denkt man auch in diesem Zusammenhang an Langemarck, an jenen 22. Oktober 1914, als Tausende deutscher Studenten, die meisten mit dem Band zur Uniform, und mit dem Deutschlandlied auf den Lippen, gegen die feindlichen Stellungen anrannten – und eine fürchterliche Zahl von ihnen dabei das junge Leben verlor. Auch für sie – und so viele unserer Bundesbrüder – ist dieses Ehrenmal, an dem wir heute stehen errichtet.
Nun stehen wir wieder am Pfingstmontag vor diesem, von der Stadt Coburg 1926 errichteten, Denkmal des CC. Die Nacktheit der drei Männer auf unserem Ehrenmahl kann auch als ein Ausdruck der Ungeschütztheit der – auch studentischen- Jugend gedeutet werden, die durch die Ereignisse des Sommers 1914 verraten und missbraucht wurde. Es ist entsetzlich festzustellen, wie sich im Sommer 1914 wenige Dutzend Politiker und Militärs aller Seiten mit Lug und Trug, List und Tücke ihren Platz in der Geschichte errangen. Das Ergebnis waren Millionen Tote und Verstümmelte, zerstörte Länder, Städte und Reiche, große wirtschaftliche Not und der Keim für die noch größere Katastrophe des 2. Weltkrieges.
Wir stehen heute an der Schwelle zu einer neuen Katastrophe. Die zahllosen kriegerischen Auseinandersetzungen, die Bürgerkriege, Verwerfungen in der Politik, Bombardements, Giftgas-Verbrechen, Handelsblockaden, Umweltzerstörungen, Finanzmanipulationen unvorstellbaren Ausmaßes und Ressentiment gegen Andersgläubige sind nur einige, erschreckende Beispiele.
Aber kommen wir zurück zum erwähnten Zitat. „Sterben gern zu jeder Stunde…?“ Wohl nicht; diese jungen Menschen hatten doch ihr ganzes Leben noch vor sich; sie hätten Liebhaber, Gatten, Väter werden können, die ganze Welt erleben können – und gaben das höchste Gut, das wir Menschen opfern können, nämlich das Leben, in jungen Jahren, so wie entsetzlich viele in den folgenden Jahrzehnten, als Opfer von Unterdrückung und Gewalt, als Opfer von Kriegen, oder wegen ihrer Überzeugung, oder ihres Glaubens, in Straflagern, in Konzentrationslagern oder wo auch immer. „Sterben gern…?“
Die Menschheit hat ja immer noch nichts gelernt, wie auch die Vielzahl von Opfern in jüngster Zeit in trauriger Weise bestätigt. Oder glaubt jemand, – um nur ein Beispiel zu nennen – dass Soldaten verschiedener Nationen in den jüngsten Konflikten gern ihr Leben ließen in einer Auseinandersetzung, deren Sinn bis jetzt nicht niemand glaubhaft machen konnte?
Dennoch obliegt es uns Lebenden – und hier komme ich zum eingangs gesagtem zurück -, mit Achtung und Ehrfurcht der Lebensleistung unserer Freunde unter den Toten (ich wiederhole mit Absicht diese Definition) entgegen zu treten. Wir gedenken hier und heute der Männer und Frauen, die ihr Leben lassen mussten im Kampf für ihre Ideale, für ihre Überzeugung, für ihr Vaterland; wir verneigen uns in Ehrfrucht vor ihrem Beispiel, das für uns Verpflichtung bedeutet. Wir gedenken der Opfer von Krieg und Gewalt, von Terror und Unterdrückung, aber auch derer von uns, die ein ganz persönliches Schicksal zu früh von uns riss, oft als ganz junge Aktive.
Der 150. Pfingstkongress des CC in Coburg bedeutet hierbei die Erneuerung des an uns selbst erteilten Auftrags des Gedenkens, der Wissenschaft und unseren Werten ehrlich und frei zu dienen, unsere Ideale zu vertreten, unsere europäischen Vaterländer zu achten und die Freundschaft zu pflegen.
Liebe Pfingstgemeinde, bitte nutzen Sie im Rahmen des 150. Jubiläums des Coburger Convent die Möglichkeit das Gesagte zu reflektieren und Ihre eigenen Schlussfolgerungen zu ziehen.
Verbeugen wir uns vor den Opfern der Kriege, Konflikte und deren Folgen. Seien wir uns der Verantwortung vor Geschichte und Gegenwart bewusst. Nehmen wir uns die Zeit, die Zukunft zu erkennen, zu begreifen, zu gestalten und schweigen wir nicht.
Lassen Sie uns einen Moment stille werden zu ihrer Ehre und Gedenken.
Dr. phil. Volker Thien
T! im CC Alemanno-Palatia zu Erlangen-Nürnberg, Akad.L! Tyrol Innsbruck