Rede zum Totengedenken Bad Blankenburg 2017
+++ Sperrfrist, Samstag 11. November 2017, 17.00 Uhr +++
+++ Es gilt das gesprochene Wort +++
Rede Totengedenken Dr. Volker Thien am Ehrenmal der Gefallenen des V.C. auf der Burg Greifenstein
Sehr geehrte Anwesende, sehr geehrte Herren Waffen- und Verbandsbrüder, liebe Bundesbrüder, meine Damen und Herren!
Es ist seit Jahren eine gute Tradition, sich hier am Ehrenmal auf Burg Greifenstein zu versammeln, um der Menschen zu gedenken und sie zu ehren, die nicht mehr unter uns sein können, die uns zum Teil schon vor langer Zeit vorausgegangen sind: unserer Toten. Dabei haben wir Lebenden eine eigenartige Scheu, über den Tod, über die Toten zu reden, obwohl wir doch alle wissen, dass der Tod das unabänderliche Ende unseres Lebens ist. Dennoch versuchen wir immer wieder einen Brückenschlag zu unseren Toten, besonders in dieser Jahreszeit, indem wir Gräber besuchen und schmücken, Kränze an Ehrenmäler niederlegen, ihre in Wort und Schrift gedenken. Dabei erschrecken wir manchmal vor der Vielzahl, vor der Masse der Toten; wir Heutigen können nicht nur davor, sondern vor der Qualität dessen, was sie geleistet haben, nur Ehrfurcht und Achtung empfinden.
In der Geschichte der Menschheit hat man in Jahrtausenden in darstellender Kunst und Literatur sich mit dem Tod auseinander gesetzt. Der Beispiele gibt es viele; man schilderte den normalen Tod als biologisches Ende des Lebens, sprach dabei vom „Heimgang“; meinte dabei aber nicht den durch äußere Einwirkungen erzwungenen Tod.
Viele von uns haben ein besonderes Verhältnis zu ihnen nahestehenden Toten, in dem sie im Geiste das Gespräch mit ihnen suchen, als ob sie noch unter uns wären – ich meine hier nicht so etwas wie eine spiritistische Sitzung, sondern die tiefe Verehrung, den besonderen Bezug zu ihren gewesenen Freunden; ein Bild das wir auch häufig in der Dichtung finden.
In anderen Gegenden – so zu Beispiel in südamerikanischen Ländern – gibt es eine besondere Art, der Toten zu gedenken. Am Tag nach dem still verbrachten Allerheiligen gibt es einen regelrechten Festtag, die „Fiesta de las Muertes“, an den in nahezu ausgelassener Fröhlichkeit der verstorbenen Angehörigen gedacht wird, sozusagen eine Ehrung posthum; so wird der Schmerz um den Verlust wohl abgemildert.
Hier an diesem Ort aber wollen wir der Menschen aus unseren Reihen gedenken, die uns besonders viel bedeuten. Wir denken hier an die Opfer von Krieg und Gewalt, von Unterdrückung und Terror, in mannigfacher Erscheinung; in ganz besonderer Weise aber wollen wir gerade hier der Menschen gedenken und die Erinnerung an sie wachhalten, die – teilweise gar nicht weit weg von diesem Ort – ihr Leben lassen mußten, weil sie einfach nur in Freiheit leben wollten , aber an der schrecklichsten Grenze, die Deutschland je hatte, nämlich an der Mauer in Berlin oder an der Grenze zur Bundesrepublik, den Tod fanden. Dabei machen wir unbewußt jedoch Unterschiede, die zusammenhängen mit der Nähe zu den vom Tod Betroffenen. Wir nehmen zur Kenntnis, daß eine entsetzliche Zahl von Menschen sozusagen stündlich vom Sterben gefährdet sind und den Tod erleiden, sei es als Folge kriegerischer Auseinandersetzungen, von denen es weltweit seit dem Ende des 2. Weltkriegs mehr als 200 gab (und derzeit noch etliche toben, bei materieller Zerstörung unersetzlicher Schätze der Menschheit) oder wegen der Unterernährung, miserabler hygienischer Verhältnisse oder fehlender medizinischer Versorgung. Um nur eine Zahl zu nennen 15 Millionen Kinder weltweit erreichen jährlich nicht einmal das 5. Lebensjahr! Diese Zahl erschreckt, aber was tun wir dagegen?
Der Tod infolge kriegerischer Auseinandersetzungen hat jedoch im Laufe der Jahrhunderte sehr unterschiedliche Darstellungen erlebt. Die Schrecken des Krieges fanden erschütternde Schilderungen in Büchern, Filmen und Dramen; dieser Tod ist einfach nur schrecklich. Auf der anderen Seite mangelte es jedoch nicht an heroisierenden Beschreibungen des Todes bei Kriegen, der Beschreibung als größtes Opfer für das Vaterland. Hier müssen wir uns hüten, nicht in ein falsches Pathos zu verfallen. In allen Zeiten wurde dieses Sterben verherrlicht als herausragender Dienst für das eigene Land, oft verbunden mit dem Begriff der Verteidigung der Freiheit. Aber: war es wirklich „süß und ehrenvoll, für das Vaterland zu sterben“ – „Dulce et decorum est, pro patria mori“ (Vergil !). Doch wohl nicht. Denken wir in diesem Zusammenhang auch an so manchen Liedtext in unserem Kommersbuch! Wie oft wird in Texten der „Heldentod“ verherrlicht, wird von manchen Irregeleiteten der unsägliche Begriff „Blut und Boden“ als Rechtfertigung verwendet!
Hier sei erwähnt die Zeile: „…Sterben gern zu jeder Stunde, achten nicht der Todeswunde, wenn das Vaterland gebeut !“, die die meisten von uns schon mehrfach gesungen haben. Ich habe da – und mag es wie ein Sakrileg klingen – meine Zweifel. Junge Menschen – in Kriegen zumeist junge Männer – werden mitten aus dem Leben gerissen; die meisten von ihnen haben sich ein späteres Leben ganz anders vorgestellt, als Liebhaber, Gatten , Väter, sie hätten die ganze Welt erleben können, eine prächtige Karriere aufbauen – und gaben ihr höchstes Gut, das wir Menschen opfern können, nämlich das Leben, in jungen Jahren in entsetzlicher Zahl in den beiden furchtbaren Weltkriegen, aber auch in folgenden Jahrzehnten als Opfer von Gewalt, oder wegen ihrer Überzeugung oder ihres Glaubens, in Straflagern, in Konzentrationslagern, an Berliner Mauer und Zonengrenze. Ich glaube nicht, dass diese Menschen gern gestorben sind. Haben wir – die Menschheit – denn immer noch nichts gelernt? Immer wieder werden junge Menschen in Auseinandersetzungen gehetzt, deren Sinn sie nicht verstehen; die Geschehnisse im Nahen Osten sind ein Beispiel hierfür. Gräßlich auch das sinnlose Sterben bei terroristischen Anschlägen, wie in letzter Zeit in London, Paris, Madrid oder Berlin, und wir haben immer noch nicht ein wirksames Mittel dagegen!
Dennoch – und das steht uns wohl an – wollen wir Lebenden mit Achtung und Ehrfurcht die Lebensleistung unserer Freunde unter den Toten (eine Wortschöpfung, die vom Schweizer Schriftsteller Max Frisch stammt) würdigen. Wir wollen hier und heute gedenken der Männer und Frauen, die ihr Leben lassen mussten im Kampf für ihre Ideale, für ihre Überzeugung, für ihr Vaterland, wir denken im Besonderen unserer Bundesbrüder, die oft ihr Leben viel zu früh lassen mussten; wir verneigen uns ehrfürchtig vor ihrer Lebensleistung, die uns verpflichtet. Wir wollen in unser Gedenken auch die Menschen einschließen, die Opfer wurden von Krieg und Gewalt, von Terror und Unterdrückung; wir gedenken auch derer von uns, die ein persönliches Schicksal zu früh von uns riß, oft auch als junge Aktive.
Verehrte Anwesende – lassen Sie uns einen Moment stille werden, zu ihrer Ehre und Andenken.
Dr. Volker Thien, Turnerschaft Alemanno-Palatia Erlangen-Nürnberg, Akad. Landsmannschaft Tyrol zu Innsbruck