Rede zur CC-Feierstunde am Markt anlässlich des 148. Pfingstkongresses 2016
Redner: RA Jörg Steuer, Landsmannschaft Rhenania Münster
Liebe Coburger, verehrte Damen, sehr geehrte Herren Verbandsbrüder, liebe Bundesbrüder,
wir haben uns traditionell auf diesem Marktplatz versammelt, um die Feierstunde zur deutschen Einheit zu begehen. Als ranghöchste Politiker diese besondere geschichtliche Herausforderung schon lange kleinmütig auf die Frage ihrer Finanzierbarkeit reduziert hatten, haben wir als eine der letzten Institutionen in diesem Land bis 1989 an jedem Pfingstmontag die deutsche Einheit angemahnt.
Seit 1990 begingen wir 25 Jahre lang die Feierstunde. Es wird Zeit, dieser Feierstunde eine aktuelle Bedeutung zu geben! Wie wir vorhin im Festzelt auf dem Anger gehört haben, bedarf alles einer ständigen Reflexion; denn nur durch die stetige Erneuerung können Konzepte lebendig bleiben.
Wir haben an diesem Ort viel über das Zusammenwachsen der zwei vierzig Jahre lang getrennten deutschen Staaten gehört. Die Wiedervereinigung ist im staatsrechtlichen Sinne längst abgeschlossen. Die gesellschaftliche Einheit wurde beharrlich angemahnt. Während uns der Verfassungsrahmen geschenkt wurde, blieb dem Bürger die Aufgabe, die deutsche Einheit gesellschaftlich zu gestalten.
Der Beginn glückte, mit offenen Armen gingen die Deutschen aufeinander zu. Wir feierten gemeinsam die Freiheit, die Freiheit der Gedanken, des Handelns und der Meinungsäußerung, die ihre Grenzen lediglich – aber allerdings – dort findet, wo sie die Achtung vor anderen und deren Freiheit verletzt und beeinträchtigt. Wir bejubelten in der Hochstimmung des Wir-Gefühls die Solidarität, die durch persönliche Qualifikation erworbene Handlungsfreiheit ermöglicht aber gleichzeitig zum Verzicht zugunsten Schwächerer aufruft. Die Subsidiarität als eine gesellschaftliche Grundtugend mahnte uns, sich so für uns und unser Umfeld einzusetzen, wie es uns möglich und zumutbar ist. Wir erinnerten an das Gleichgewicht zwischen Solidarität und Subsidiarität, um einerseits die Verantwortung nicht zu sehr auf Solidareinrichtungen zu verteilen und andererseits den Grundsatz der Chancengleichheit nicht zu verletzen. Wir hatten den Traum vom Miteinander und von einer idealen Gesellschaft.
Verglichen mit diesem Maßstab scheint unsere heutige Gesellschaft im Entwicklungsstadium der Pubertät. Uns sind Grundlagen abhanden gekommen. Die Solidarität ist weitgehend staatlich verordnet. Die Bereitschaft zur Verantwortung nimmt stetig ab. Die Toleranz als ein Grundpfeiler des gesamten Gebäudes ist uns zwar scheinbar erhalten geblieben, doch entwickelt sie sich zunehmend zur Beliebigkeit, ihrer hässlichen Stiefschwester.
Unsere Gesellschaft krankt nicht etwa an einer inneren Grenze zwischen den Bürgen im Westen und Osten sondern vielmehr an einer grundsätzlichen inneren Zerrissenheit, die sich in unterschiedlichen Dingen äußert. Während die einen
Demokratie auch als Verpflichtung sehen, entwürdigen sie die anderen durch Nichtteilnahme. Während die Mehrheit ihre Steuern ordnungsgemäß entrichtet, fahren andere nach Panama, nach Lichtenstein oder auf die Bahamas. Während einige Welcome-Partys veranstalten, versuchen andere, Flüchtlinge mit Beschimpfungen und Brandsätzen zu vertreiben.
Die Distanzierung von jeglicher Gewalt ist selbstverständlich; dieses menschenverachtende Verhalten ist durch nichts zu rechtfertigen. Eine freie Gesellschaft darf nicht zulassen, dass sich einzelne über das Gesetz hinwegsetzen, auch wenn die Angst als vermutetes Motiv von Platon und Aristoteles primär als physische Kraft verstanden wurde. In einer Gesellschaft, die von Ängsten zerrissen ist, erlischt der demokratische Lebenswille.
Es ist nicht nur die Gewalt gegen Flüchtlinge sondern auch die gegen Andersdenkende, manchmal sogar die scheinbar unmotivierte Gewalt, die keinem erkennbaren Ziel folgt, die immer wieder Schande über unser Land bringt und über jeden einzelnen von uns. Die Opfer sind beliebig, arm und reich, jung und alt, bekannt und unbekannt. Aber sie sind vor allem eins: Menschen. Niemand von uns kann davor sicher sein, dass er nicht als Nächster zum Opfer wird. Wann immer das Leben eines Menschen zerstört wird, ist das eine Entwürdigung für unsere gesamte Gesellschaft. Und dennoch scheinen wir die Zunahme von Gewalt immer mehr zu tolerieren – eine Gewalt, die unsere menschliche Gemeinschaft missachtet und unseren Anspruch, eine Zivilisation zu sein.
Zu häufig akzeptieren wir Arroganz und Anmaßung und dass jemand auch vor Gewalt nicht zurückschreckt, um seine Ziele zu erreichen.
Zu häufig finden wir Entschuldigungen für jene, die bereit sind, ihr eigenes Leben auf den zerstörten Träumen anderer aufzubauen.
Nur eine Läuterung wird unserer Gesellschaft helfen können, nicht der Ruf nach Ordnung und einer starken Hand. Aber genau dieser Ruf schallt durch ganz Europa, wie wir an den Wahlergebnisse und den daraus resultierenden politischen Veränderungen erkennen müssen. Unser Land ist bereits einmal dem Heil gefolgt und zum erklärten Feind des Freiheitsgedanken übergelaufen – geradewegs in die Katastrophe.
Wenn wir wieder die Lehre verbreiten, dass jene, die anders sind als wir, eine Bedrohung darstellen für unsere eigene Freiheit, für unsere Familie oder unser Zuhause, dann lehren wir damit auch, andere nicht als Mitbürger, sondern als Feinde zu betrachten, die man unterdrücken und beherrschen möchte. Was schließlich dazu führt, dass wir unsere Mitbürger als Fremde betrachten. Fremde, mit denen wir zwar unser Land teilen, aber nicht unsere Gemeinschaft. Menschen, die zwar durch einen gemeinsamen Wohnsitz mit uns verbunden sind, um die wir uns aber nicht bemühen. Wir lernen nur, eine gemeinsame Angst zu teilen, den gemeinsamen Wunsch, uns voneinander zurück zu ziehen.
Unsere Gesellschaft ist zu wichtig, als dass diese Haltung noch weiter bestehen darf. Natürlich können wir sie nicht mit einem Programm oder einem Gesetz verbieten, aber vielleicht sollten wir uns vor Augen halten, auch wenn es nur für eine gewisse Zeit ist, dass jene, die mit uns zusammen leben, auch unsere Weggefährten sind.
Dass sie denselben kurzen Augenblick des Lebens mit uns teilen. Dass sie nichts weiter als die Möglichkeit suchen, ein sinnvolles und glückliches Leben zu führen, um dadurch so viel Zufriedenheit und Erfüllung wie möglich im Leben zu finden.
Mit Sicherheit kann uns das eine Lehre sein, unsere Mitmenschen einmal richtig zu sehen. Und ich bin davon überzeugt, dass wir dann, und nur dann, wenn wir uns Mühe geben und uns gegenseitig helfen, in einer friedlichen und freien Gesellschaft leben können.
Die Mahnstunde zur gesellschaftlichen Einheit ist beendet.