Rede zur Feierstunde zum 149. Pfingstkongress 2017
Liebe Coburgerinnen und Coburger,
werte Damen,
sehr geehrte Herren Verbandsbrüder,
liebe Bundesbrüder,
Deutschland ist nunmehr seit 27 Jahren wieder vereint. Mittlerweile ist diese Tatsache in dem Geschichtsbewusstsein vor allem vieler jüngerer Deutscher zu einer Selbstverständlichkeit geworden. Dennoch möchte ich hier und heute darauf verweisen, dass wir studentischen Korporationen gegen den damals vorherrschenden politischen Mainstream an dem Gedanken der Wiedervereinigung immer festgehalten haben. Mit allem Selbstbewusstsein und gegen viele Widerstände. Nicht selten wurden wir als „ewig Gestrige“ verspottet und waren doch unserer Zeit weit voraus. Wir haben die Erinnerung wach gehalten. Es war ein Stück gelebter „Zivilcourage“, den Gedanken an ein geeintes Deutschland aufrecht zu erhalten und sich eben nicht dem Zeitgeist ergeben. Und wir haben gut daran getan.
Als es dann möglich war, haben wir schnell und konsequent gehandelt. Vor 25 Jahren haben sich die ersten Mitgliedsbünde des Coburger Convents in den damals jungen Bundesländern rekonstituiert. Ein Kraftakt, der sich gelohnt hat. Wahrlich ein Grund zum Gedenken und zum Freuen. Seitdem haben sich die rekonstituierten Bünde wieder in unseren Verband eingegliedert und etabliert. Sie sind heute aus unseren Reihen nicht mehr wegzudenken.
Nun ist es Zeit, sich einem neuen Ziel zu zuwenden: Bereits im vergangenen Jahr hat die Präsidierende die Feierstunde zu einer „Mahnstunde zur gesellschaftlichen Einheit“ erklärt. Mit Recht. Wir beobachten seitdem eine immer rasanter werdende Internationalisierung und Globalisierung, zugleich aber auch einen Rückzug des Individuums ins Private.
Die Sorge angesichts einer unübersichtlichen Weltlage ist allenthalben groß.
Islamische Terroristen führen ihren selbst erklärten Krieg gegen Andersgläubige, den Westen und die Vielfalt seiner Lebensentwürfe. Russland führt Eroberungskriege gegen Nachbarstaaten und einen Propagandafeldzug gegen westliche Liberalität und Weltoffenheit. Die Türkei hat sich dem angeschlossen.
In ganz Europa bedienen rechts- und linkspopulistische Bewegungen und Parteien antiwestliche Ressentiments, die die Freiheit des westlichen Lebensstils in Frage stellen.
Was ist das Besondere dieses Lebensstils?
Gerahmt und gestützt wird er von Demokratie, Rechtsstaat, Gewaltenteilung und sozialer Marktwirtschaft. Neben der Achtung der Menschenrechte, der Trennung von Staat und Kirche beziehungsweise von Gesellschaft und Religion zählen Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Religionsfreiheit, Versammlungsfreiheit, der Schutz von Minderheiten und die Wertschätzung des Individuums und seiner individuellen Freiheiten gegenüber der Gesellschaft zu seinem Wertekanon. Untrennbar mit dem westlichen Lebensstil verbunden sind unter anderem: die Gleichberechtigung der Geschlechter, Toleranz und die Skepsis gegenüber althergebrachten Gewissheiten.
Ich meine: Werte, die zu schützen es lohnt.
Wir berufen uns gern auf die „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ der französischen Revolution oder auch den Satz „die Würde des Menschen ist unantastbar“. Angesichts der sehr unterschiedlichen Interpretationen dieser Grundsätze erweist unsere so genannte westliche Wertegemeinschaft ihre wahre Bedeutung erst im Schutz der Unterschiede von Wertauffassungen und nicht in deren Übereinstimmung. Unsere Wertegemeinschaft ist im Kern eine Gemeinschaft zur Aufrechterhaltung des demokratischen Prozesses unter dem Dach der Menschenrechte. Die Demokratie ist ein Zweckbündnis zur Einhaltung von politischen Umgangsformen, ein Regelsystem für den politischen Entscheidungsprozess. Demokratie ist also im Kern eine rechtlich geregelte und geschützte Praxis der Toleranz.
Dabei ist die Meinungsfreiheit nicht an die Qualität einer geäußerten Meinung gebunden. Gerade die fremde, abwegige, die von wenigen Menschen geteilte Meinung ist der wahre Prüfstein für die Toleranz einer Gesellschaft. Worüber Einigkeit herrscht, macht den Streit überflüssig. Existiert am Ende der Debatte nur noch eine Meinung, ist dass auch das Ende der Meinungsfreiheit.
Ausnahmen gelten nur dort, wo der anders Denkende die Regeln der Demokratie selbst nicht respektiert und die garantierten Rechte auf Freiheit der Meinung, Würde des Menschen und den demokratischen legitimierten Prozess beseitigen will. Ganz gleich von welcher Seite.
Die „Göttinger Sieben“ sollten unserem diesjährigen Motto „Mehr Toleranz und Zivilcourage“ ein Gesicht geben. Sieben Professoren der Göttinger Universität, der Georgia Augusta, die ohne Rücksicht auf ihr eigenes Ansehen 1837 gegen die Obrigkeit aufbegehrten. Sie legten beim König von Hannover schriftlich Protest gegen die Aufhebung der 1833 erlassenen und als relativ freiheitlich geltenden Staatsgrundsätze ein. Durch ihr couragiertes Auftreten trugen sie entscheidend zur Herausbildung einer liberalen Gesellschaft bei.
Nicht zuletzt auch deshalb gelten die Werte der Freiheit und Demokratie etwas in Deutschland. Davon bin ich überzeugt. Wir sprechen viel über diese Werte, selten aber darüber, was uns deren Erhalt wert ist. Weil sie zu selbstverständlich geworden sind. Wollen wir sie aber behalten, werden wir sie verteidigen müssen. Aktiv. So wie die „Göttinger Sieben“. Und nicht darauf wartend, dass es andere tun. Auch wenn es vielleicht unbequem erscheint. Aber: Wegducken gilt nicht mehr. Zeigen auch wir Gesicht. Wie einst die „Göttinger Sieben“. Dazu gehört jedoch auch Zivilcourage. Die Zeit des „freundlichen Desinteresses“ an der Entwicklung unserer Gesellschaft ist vorbei. Andernfalls finden wir eines Tages einen Zettel auf dem Küchentisch: „Weil Du Dich nicht um mich gekümmert hast, habe ich Dich verlassen. Deine Demokratie.“
Es geht einzig um die Frage nach welchen Regeln und in welchen Grenzen wir in Zukunft in Deutschland zusammenleben wollen. Nicht mehr und nicht weniger. Darüber muss eine öffentliche Diskussion möglich sein. Ohne „Schaum vor dem Mund“. Und ohne Wahlkampfgetöse oder reflexartige Abwehrreaktionen.
Es lohnt sich, Freiheit und Demokratie zu verteidigen.
Das spiegelt sich auch im Selbstverständnis unseres Verbandes wider. Unser Wahlspruch lautet: Ehre, Freiheit, Freundschaft, Vaterland. Der Coburger Convent bekennt sich zugleich unmissverständlich zu Freiheit und Demokratie, zur rechtsstaatlichen Grundordnung, zu zeitlosen Grundwerten unserer gesellschaftlichen Existenz und fordert unter anderem. eine engagierte Toleranz gegenüber Andersdenkenden.
Darin begründet liegt auch unsere Verantwortung als Coburger Convent für diese Demokratie, für diesen Staat. Es ist an der Zeit sich wieder mehr an unser Selbstverständnis zu erinnern, es auch nach außen zutragen.
Zeigen wir Zivilcourage und stellen wir uns denjenigen in den Weg, die Freiheit und Demokratie abschaffen wollen. Unsere Wertschätzung gilt denjenigen, die es uns gleich tun.
Peter Scheben
Landsmannschaft Gottinga